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Rückwärtsgang eingelegt?

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Corona-Krise und Geschlechtergerechtigkeit

Mit der Corona-Krise wurden eine ganze Reihe von neuen Gesetzen und Verordnungen beschlossen, die die Epidemie eindämmen sowie die wirtschaftlichen und sozialen Folgen mildern sollen. Bei diesen Rege­lungen hätte frau sich gewünscht, dass die beabsich­tigten und unbeabsichtigten Folgen in den Blick genommen werden. Eine solche Gesetzesfolgenab­schätzung ist seit dem 1. September 2000 nach der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministe­rien vorgesehen.

Folgenabschätzung - Fehlanzeige

In den Debatten und in den Pressekonferenzen, in denen die politischen Maßnahmen verkündet wurden, standen im März die direkten Ziele im Vordergrund. Haben Sie gehört, dass deren Folgen für die Gleich­stellung thematisiert wurden?

Doch der Deutsche Juristinnenbund (djb) hat sich im April dazu zu Wort gemeldet und darauf aufmerksam gemacht, welche geschlechtsspezifische Wirkung die Bemessungsgrundlage Nettoeinkommen für das Kurz­arbeitergeld hat. Denn verheiratete Frauen mit Lohn­steuer­klasse V haben hohe Abzüge mit der Folge, dass alle Lohnersatzleistungen, deren Berechnungs­grundlage der Nettolohn ist, niedrig ausfallen wie beispielsweise Elterngeld, Arbeitslosengeld, aber auch Unterstützungen wie Entschädigungen nach dem Infektionsschutzgesetz oder Krankengeld und auch das Kurzarbeitergeld.

So rechnet der djb in seiner Pressemitteilung von 20. April 2020 vor: „Bei einem monatlichen Bruttoein­kommen von 2.000 Euro werden Beschäftigten ohne Kinder in Steuerklasse V bei ‚Kurzarbeit Null‘ beispiels­weise 700 Euro ausgezahlt, in Steuerklasse IV 850 Euro, in Steuerklasse III sind es 960 Euro.

Selbst bei einem erhöhten Leistungssatz von 67 Pro­zent für Beschäftigte mit Kindern fällt das Kurzarbei­tergeld in Steuerklasse V mit 783 Euro geringer aus als das reguläre Kurzarbeitergeld in Steuerklasse IV und III.“ Dass Frauen auch seltener eine betriebliche Aufstockung des Kurzarbeitergeldes erhalten, zeigt ebenfalls Wirkung beim (Familien)Einkommen. Folg­lich fordert der djb, kurzfristig alle Lohnersatzleis­tungen nach Steuerklasse I bzw. IV zu berechnen und längerfristig Steuerklasse V abzuschaffen, um diese mittelbare Diskriminierung zu beenden.

Un-Gleichstellungswelt

Allein dieses Beispiel ist gleichstellungspolitisch folgenreich. Alltagserfahrungen zeigen plastisch, wie dadurch in der Regel, d.h. in der Normalfamilie, die Väter wieder zu den eigentlichen Erwerbstätigen und Familienernährern werden. Unter den Bedingungen von Ausgangsbeschränkungen, Homeoffice, Home-Schooling und Selbstversorgung auf unterschiedlichen Feldern, z.B. selbst Kochen, wird der oft begrenzte Familienraum vernünftig aufgeteilt. Der einzig ruhige Raum, sei es das Wohnzimmer oder ein Gästezimmer, dient dem, selten der Ernährer*in als Arbeitszimmer bzw. Homeoffice; ungestörte Videokonferenzen inklu­sive. Oft bleiben die Kinderzimmer weiterhin Spiel, Sport-, Musikzimmer; und Schule inklusive Anleitung - sowie mütterliche Berufs- und Sorgearbeit werden in die Küche verlegt, wenn sie dafür groß genug ist. Was für viele Väter einen Zugewinn an Familie darstellt - wie gemeinsames Mittagessen, ist für Frauen - in systemrelevanten Berufen oder im Homeoffice - ein strapaziöses Unterfangen; noch mehr für Allein­erziehende. Eine differenzierte eigene Betrachtung verdienen die Frauen, die in den systemrelevanten Berufen tätig sind, das kann hier nicht geleistet werden. Auch sie sind als Mütter, mit oder ohne Notbetreuung, meist noch zusätzlich gefordert.

Aber zurück zur Normalfamilie mit den Anforderun­gen an die Mütter, Lehrerin für ein breites Spektrum an Fächern, Putzfrau, Köchin, Spielkameradin, Tröste­rin, Planerin des Einkaufs und vieles mehr neben der bezahlten Arbeit zu sein. Nicht wenige reduzieren im privaten Krisenmanagement ihre Erwerbsarbeitszeit, die oft bereits auf Teilzeitniveau war; oder sie sind bereits in Kurzarbeit freigestellt, oder sie nehmen Urlaub.

Retraditionalisierung

Mit dieser Warnung mischen sich vor allem Sozial­wissenschaftlerinnen - passend zum Muttertag Anfang Mai – in die Debatte ein. Das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) und das Wirtschafts- und Sozialwissen­schaftliche Institut der Hans-Böckler-Stiftung (WSI) legen erste Studienergebnisse über die Wochen im coronabedingten Lockdown vor und belegen empi­risch die besonderen Belastungen der Frauen, ob alleinerziehend oder in Paarbeziehungen. Das zeigen die Ergebnisse der WZB-Befragung, die deutliche Unterschiede in der Arbeitszufriedenheit im krisenbe­dingten Homeoffice gefunden haben. Nicht nur hat diese bei Eltern im Vergleich zu kinderlosen Personen stärker abgenommen, sie ist bei Müttern im Home­office noch deutlich stärker zurückgegangen als bei Vätern in dieser Situation. Eine Verringerung der Erwerbsarbeit trug mit zur geringeren Arbeitszufrie­denheit bei.

In der WSI-Studie gaben 54 Prozent der Frauen und nur 12 Prozent der Männer an, dass sie den über­wiegenden Anteil der anfallende Betreuungsarbeit (für Kinder unter 14 Jahren) leisten; nur ein Drittel praktizieren dies partnerschaftlich. Frauen tragen die Last der verminderten Erwerbsarbeit und der ver­mehrten Kinderbetreuung. Ursächlich sehen sie dafür die strukturellen Rahmenbedingungen (z. B. krisen­bedingte Gehaltseinbußen), die Paaren eine gleich­berechtigte Aufteilung der familiären Sorgearbeit er­schweren. Die beobachtete Retraditionalisierung kann somit die bereits bestehende Einkommensungleich­heit zwischen den Geschlechtern weiter verfestigen, so die Folgerung.

Die Sorge scheint berechtigt, denn mit den bisherigen staatlichen Maßnahmen werden die Errungenschaf­ten von Frauen an gerechter wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Teilhabe riskiert.

Dabei ist die Sorge nicht nur Zukunftssorge, denn bereits heute sind wenige Frauen sichtbar in den wissenschaftlichen Beratungsgremien des Bundes und der Länder, eine Rückwirkung der Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen.

Der Deutsche Frauenrat fordert in diesem Zusam­menhang u.a., dass die entscheidende Rolle der Frauen in dieser Krise und ihrer Bewältigung sich auch in ihrer Teilhabe an den Entscheidungs- und Beratungsgremien wiederfinden muss. Und dass die Gesetze, Verordnungen und Maßnahmen, vor allem auch die finanziellen, tatsächlich einer gleichstel­lungspolitischen Folgenabschätzung unterzogen werden.

Viele Frauen und Frauenbündnisse und auch der DEF setzen sich dafür ein, in den Vorwärtsgang zu schal­ten für eine geschlechtergerechte Zukunft!

Dr. Johanna Beyer, Mitglied im Vorstandsrat Landesverband Bayern

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Quelle: pixabay.com