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Des Erinnerns wert

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Agnes Freiin von Dincklage
(1882-1962)

– eine begnadete Erzieherin und Kämpferin für ein souveränes Frauenleben

Seit gut einem Jahrzehnt (2008) besteht die Initiative des Landesfrauenrates Niedersachsen, die den Spuren von bedeutenden Frauen nachgeht. Im Faltblatt „1000 Jahre Frauengeschichte – frauenORTE-Stadtspa­ziergänge“ findet sich an neunter Stelle für Obernkir­chen im Schaumburger Land der Name von Agnes von Dincklage. Lebensdaten und eine kurze Beschrei­bung ihrer Tätigkeit.

Es heißt dort: „Mehr als 30 Jahre leitete sie die wirtschaft­liche Frauenschule des Reifensteiner Verbandes im Stift Obernkirchen. Die Lern- und Lebensgemeinschaft bot eine professionalisierte Ausbildung in Haushaltsführung, Gartenbau sowie Geflügelzucht und eröffnete neue Berufsfelder in der ländlichen Hauswirtschaft.“

Die 1897 von Ida von Kortzfleisch (1850-1915) als wirt­schaftliche Frauenschulen auf dem Lande ins Leben gerufene erste Schule entstand in Hessen. Sie wurde 1900 nach Reifenstein im Eichsfeld verlegt. Ida von Kortzfleisch nahm 1899 am Frauentag in Kassel teil und war über viele Jahre Ausschussmitglied im Bun­desvorstand des DEF und Mitglied in der Ortsgruppe Hannover. Der Wunsch nach Ausbildungsmöglichkei­ten für Mädchen und Frauen war das gemeinsame Bestreben.

So begegnet man im Archiv des DEF auch Agnes von Dincklage, die einige Zeit stellvertretende Vorsitzende des Landesverbandes Niedersachsen war, auch bestanden enge Kontakte zur 1927 dort gegründeten Ortsgruppe, die sich besonders in der Mitarbeit als Helferinnen im Kindergottesdienst engagierte.

Im Protokollbuch des Bundesvorstands findet sich am 8. Februar 1943 die knappe Notiz: „Frl. v. Dincklage ist wieder in ihr Amt zurückgekehrt.“ Um welches Amt handelte es sich? Was war der Grund für die Abwe­senheit gewesen? Verschiedene weitere Unterlagen im Archiv brachten ein wenig Licht in den Vorgang. Das Amt, in das sie zurückkehrte, war die Leitung der Landesfrauenschule in Obernkirchen, die dort seit 1901 bestand und als hervorragende Ausbildungs­stätte galt. Seit 1918 wurde sie von Agnes von Dinck­lage geleitet. Der Grund für die zweitweise Amtsent­hebung war ein Zeitungsartikel im 'Schwarzen Korps', dem Organ der Reichsführung der SS - der Schutz­staffel der NSDASP - vom Juli 1942. In ihm war die Schule in Obernkirchen scharf angegriffen und als Insel der Seligen verhöhnt worden. Ein Vater, der SS-Mitglied war, hatte seine Tochter dort anmelden wollen und von Agnes von Dincklage eine Absage erhalten mit dem Hinweis, dort seien bislang keinerlei Anmel­dungen von 'gottgläubigen' Schülerinnen vorgenom­men worden. Sie riet dem Vater, seine Tochter in eine der seit 1936 bestehenden staatlichen Landfrauen­schulen zu schicken, da sie meinte, für die Tochter sei es gewiss angenehmer „wenn sie in einen Kreis von Menschen gleicher Glaubensrichtung“ komme.

Der Zeitungsbericht hatte heftige Diskussionen im Verband ausgelöst, zumal es schon seit geraumer Zeit durch Eingriffe in die Lehrpläne und neue Vorschriften verbandsintern erhebliche Meinungsunterschiede gab. Die privaten Schulträger wurden von den National­sozialisten zunehmend unter Druck gesetzt. Man wollte sie für die einfachen Landfrauen öffnen.

In Obernkirchen erhoben die Schülerinnen lautstarken Protest gegen die Absetzung der beliebten Schullei­terin und forderten ihre Rückkehr. Nach einem halben Jahr hatten sie damit Erfolg und Agnes von Dincklage durfte auf ihren Posten zurückkehren, allerdings wurde ihr eine parteitreue Lehrerin zur Seite gestellt, die das parteikonforme Gedankengut in die Schule zu bringen hatte. Fächer wie Rassenkunde, Vererbungslehre, Erb­gesundheitslehre, Siedlungswesen bestimmten nun den Stundenplan. Die Verstaatlichung der Schulen drohte bereits seit Jahren, da die religiös christliche Grundlage der Reifensteinschulen unerwünscht war. So war ihnen die Ausbildung für hauswirtschaftliche Lehrkräfte und damit der Weitergabe ihrer langjährigen Erfahrungen auf diesem Gebiet entzogen worden. Ein massiver Eingriff in die Vereinsstruktur und eben­so in die wirtschaftliche Effektivität des Verbandes, der über Jahre viel in den Aufbau der Ausbildungs­möglichkeiten investiert hatte.

Morgenandacht und Tischgebet wurden untersagt und sollten durch Fahnenappell und Hitlergruß er­setzt werden. In einem Brief von Agnes von Dincklage nach Hannover heißt es, sie könne die Hände allmor­gendlich zum Gebet nur für sich alleine in ihrem Zimmer falten, dies aber tue sie. 

Viele Schulen des Reifensteiner Verbandes waren in alten Kloster- oder Burganlagen untergebracht. Sie wurden vorrangig von Töchtern gutsituierter Bürger oder von Adligen besucht. Da die Internatsschulen nicht gerade billig waren, blieb man ziemlich unter sich. Es waren zwar keine Konfessionsschulen, aber vorrangig kamen die Schülerinnen aus christlich ge­prägten konservativen Elternhäusern, außerdem wurde bewusst auf Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit gesetzt. Die Schülerinnen, Maiden genannt, hielten auch nach der Ausbildung über Jahre untereinander und zum Verband Kontakt. Maidschaft stand für: Mut, Ausdauer, Idealismus, Demut. Zum äußeren Zeichen wählte man die Maidennadel in Form eines Regen­bogens, der als Symbol zwischen dem göttlichen Bund und der sozialen Tat stand.

Agnes von Dincklage entstammte einer Familie des westfälischen Uradels. Sie war 1882 in Lingen an der Ems, einem alten Flussübergang auf der Straße von Bremen in die Niederlande, als siebtes von neun Kindern geboren. Nach der Schulzeit hatte sie auf den Gütern von Verwandten eine hauswirtschaftliche Ausbildung erhalten. Es heißt, sie sei mit einem pommerschen Gutsbesitzer verlobt gewesen, habe die Verlobung jedoch gelöst, nachdem sie erfahren hatte, dass er weitere Eheversprechen gegeben habe. Das könnte erklären, wieso sie erst recht spät in Obernkirchen die Frauenschule besuchte und jene als Hauswirtschaftslehrerin in Metgethen in Ostpreußen folgen ließ, um dann 1911 nach Obernkirchen zurück­zukehren, wo sie Geflügel- und Tierzucht und Wohl­fahrtspflege unterrichtete. Im Oktober 1918 wurde sie dort Schulleiterin.

Als Mitte Dezember 1944 die Schule evakuiert wurde, war das auch für den DEF in Obernkirchen „von Gewicht“, da immer mit dem Besuch einiger Lehre­rinnen und junger Mädchen bei den Veranstaltungen gerechnet werden konnte.

Schon bald nach Kriegsende wurde Agnes von Dinck­lage von der amerikanischen Besatzungsbehörde zum Wiederaufbau der Schule nach den altbewährten Grundsätzen aufgefordert. Sie leitete sie dann erneut bis 1949. Bei ihrer Verabschiedung sagte eine Mitar­beiterin von ihr: „Sie regierte königlich und diente demütig.“ Agnes von Dincklage zog sich dann in das Damenstift Börstel im Landkreis Osnabrück zurück, wo ihre Familie Stiftstellen besaß und ihre ältere Schwester viele Jahre Äbtissin gewesen war. Dort starb sie 1962.

Die Stifte Obernkirchen und Börstel sind Körper­schaften des öffentlichen Rechts und bestreiten ihre laufenden Kosten aus eigenem Vermögen. Durch ver­tragliche Regelungen erhalten sie etwa bei größeren Baummaßnahmen Mittel des Allgemeinen Hannover­schen Klosterfonds, jener ältesten und traditionsrei­chen Behörde Niedersachsens – der sogenannten Klosterkammer – jener in deutschen Landen einma­ligen Institution, die nie den Kirchenbesitz in den Staatshaushalt einbezogen hat, sondern bis heute für karitative, pädagogische und gottesdienstliche Verwendung einsetzt. Dieses für Frauen segensreiche welfische Erbe geht zurück auf die Reformationsfürs­tin Elisabeth von Calenberg-Göttingen (1510-1558), die nach einer Begegnung mit Martin Luther zum Protestantismus übertrat. 

Halgard Kuhn

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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