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Des Erinnerns wert

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Das Vereinsrecht von 1908 – ein Meilenstein

Am 15. Mai 1908 trat das neue Reichsvereinsgesetz in Kraft und beseitigte „die gesetzlichen Schranken, die bis dahin vor der politischen Betätigung der deutschen Frauen aufgerichtet waren“; so heißt es in einer Flug­schrift des Bundes Deutscher Frauenvereine. Bis dahin lautete § 8 des Preußischen Vereinsrechts – ähnlich auch in vielen anderen Ländern: „Für Vereine, welche bezwecken, politische Gegenstände in Versamm­lungen zu erörtern, gelten nachstehende Beschrän­kungen: a) sie dürfen keine Frauenspersonen, Schüler und Lehrlinge als Mitglied aufnehmen“. In etlichen Fällen war Frauen sogar die Teilnahme an Veranstal­tungen als Zuhörerin verweigert worden.

Die Obrigkeit versuchte ganz gezielt, die Frauen in politischer Unmündigkeit zu halten. Das forderte immer wieder den Protest von Frauen heraus, wenn auch lange Zeit vergeblich. Doch sie gaben nicht auf „bis er nicht mehr ungehört verhallt“. Die Frauen wiesen auf den Widerspruch hin, wenn einerseits auf die Wichtigkeit ihrer Mitarbeit bei erheblichen Eng­pässen in der Wohlfahrtspflege hingewiesen wurde, ihnen andererseits aber die gesetzlichen Vorschriften keine Möglichkeit gaben, Kompetenz zu erlangen und sich vertiefende Kenntnisse zu beschaffen. Es sei, so argumentierten sie ferner, nicht mehr zeitgemäß und in anderen europäischen Staaten längst „zum Heil ihrer Staatsentwicklung“ geändert worden. Deutsch­land hinkte in der Tat erheblich hinterher. 

Schon seit der Mitte des 17. Jahrhunderts galten bei­spielsweise in England bei der Gesellschaft der Freunde - den Quäkern - Frauen als gleichberechtigt. Sie spielten eine große Rolle, bisweilen eine Vorreiter­rolle auf allen Gebieten der gesellschaftlichen Teilhabe bei Erziehungs- und Bildungsfragen, in der Armen- und Krankenpflege, bei der Betreuung von Gefan­genen und bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bis hin zu ihrem Einsatz zur Sklavenbefreiung. Bei den Versammlungen - Meetings - hatten Frauen selbst­verständlich ein Mitspracherecht, auch hatten Frauen in England die Möglichkeit, in der Kommune Ämter zu übernehmen. Nur das Parlament in London war ihnen verschlossen und rief später die militanten Suffragetten auf den Plan, von denen sich die bürger­liche Frauenbewegung in Deutschland entschieden distanzierte. Stellvertretend für viele Engländerinnen sei auf Margaret Fell (1614-1702) und Elizabeth Fry (1780-1845) hingewiesen.

Um die enorme Bedeutung der Gesetzesänderung mit dem Wegfall des Frauen diskriminierenden Passus nachvollziehen zu können, sei auf einen Bericht von 1902 der Zweiten Vorsitzenden des DEF, Adelheid von Bennigsen, in den Mittteilungen des Verbandes über eine Tagung des Verbandes fortschrittlicher Frauenvereine in Berlin geschaut. Es heißt dort: „Nachdem die Vormittagssitzung in größter Ruhe und Sachlichkeit verlaufen war und wir nachmittags um 4 Uhr zur zweiten Sitzung bereit waren, verkün­digte uns nach einstündigem Warten die Vorsitzende die Verordnung der politischen Polizei, auf Grund des preußischen Vereinsgesetztes, die folgenden Ver­handlungen durch zwei uniformierte Beamte be­wachen zu lassen.“ Das Problem war jedoch, dass die preußischen Beamten keinen Zutritt und keine Befug­nisse im Reichstagsgebäude hatten und somit die Sitzungen nicht weiter dort stattfinden konnten. Der Vorstand des fortschrittlichen Frauenvereins bemühte sich daher um andere Räumlichkeiten und verschob die Fortsetzung der Veranstaltung auf den nächsten Tag.

Aber auch am nächsten Vormittag fand die anbe­raumte Sitzung nicht statt, da der neugewählte Saal nicht 24 Stunden zuvor angemeldet worden war. „Wieder mussten alle Beteiligten unverrichteter Sache fortgehen. Die Polizei hatte sich streng an den Buchstaben des Gesetzes gehalten.“ Die Bemerkung, die Adelheid von Bennigsen zu Beginn ihres Berichts macht, lässt vermuten, dass die Behörden von den recht forschen Ansprüchen dieser Frauengruppe nicht eben sehr angetan waren und sie vielleicht bewusst düpierte. Sie schreibt: „Die Vertreterinnen dieser Richtung verdienen durch ihre ernste Arbeit auch ihr mutiges Eintreten für ihre Sache unsere Anerken­nung, aber (sic!) unserer Anschauung nach gehen sie in manchen Forderungen zu weit und stellen sich zu sehr in Gegensatz zu der Regierung.“

Stein des Anstoßes war möglicherweise das ange­kündigte Referat 'Die politische Erziehung der Frau' der Juristin Dr. Anita Augspurg. Über dieses Referat schreibt Adelheid von Bennigsen: „Sie setzte ausein­ander, daß sie es als kein Glück ansehen könnte, wenn die Frauen schon jetzt alle politischen Rechte bekämen, denn die Frauen müßten sich dazu erst geschichtliche und kulturgeschichtliche Kenntnisse aneignen und die Verfassungen von Staat, Provinz und Gemeinden kennenlernen. Sie müßten ferner ein politisches Ehrgefühl bekommen, um nicht mit ehr­losen Mitteln zu arbeiten, wie es leider in der Politik soviel geschieht. Wenn also das politische Wahlrecht für die Frau zu erstreben wäre, so jedenfalls augen­blicklich noch nicht, auch seien ja einzelne Wahlen für die Frau, wie die zu den Gewerbegerichten z. B., schon offen.“ Schon bald danach gehörte Anita Augs­purg zu den Mitbegründerinnen des Vereins für Frauenstimmrecht.

Der DEF verstärkte seine Schulungsprogramme, um die andere Vereine ihn bald beneideten. Auch nahm der Vorstand in Hannover die Geschehnisse in Berlin nicht so gelassen, wie sie in dem Bericht klingen, zumal es auch in anderen Städten mehrfach ähnliche Fälle gegeben hatte und erst kürzlich vom Reichs­gericht und einem Oberverwaltungsgericht überein­stimmend entschieden worden war, der Begriff 'politische Vereine' sei auf alle zu beziehen, in denen öffentliche Angelegenheiten verhandelt würden. Das konnte bei strenger Auslegung durch die örtlichen Behörden zukünftig viele Bereiche der DEF-Arbeit lahm legen. Daher musste gehandelt werden. Der Vorstand formulierte eine Petition, die dann nach einer verbandsinternen Stellungnahme durch die Ortsgruppen, die zwar nicht einmütig, aber mehr­heitlich zustimmend ausfiel, an den Bundesrat und den Reichstag ging. Sie blieb auch nicht wirkungslos, sondern führte zu einem Antrag verschiedener libe­raler Abgeordneter, der lautete: „Der Reichstag wolle beschließen, die verbündeten Regierungen zu ersu­chen, baldmöglichst einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch welchen die landesgesetzlichen Bestimmungen aufgehoben werden, die der Teilnahme von Frauen an sozialpolitischen Bestrebungen in Vereinen und Versammlungen entgegenstehen.“

Sechs Jahre später war es dann endlich soweit. Damit war in der Tat im Mai 1908 ein erster wichtiger Schritt - eben ein Meilenstein - auf dem langen Weg zur politischen Gleichberechtigung der Frauen erfolgt, der dann zehn Jahre später endlich auch das aktive und passive Frauenwahlrecht brachte.

Halgard Kuhn

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Adelheid von Benningsen; Quelle: AddF, Kassel, Aktenbestand des DEF, NL-K-16;D-F1/00129