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Des Erinnerns wert...

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Zur Gründung des Deutschen Evangelischen Frauenbundes vor 120 Jahren

Aus Anlass des Jubiläums 120 Jahre Deutscher Evan­gelischer Frauenbund soll noch einmal ein Blick auf die Anfänge geworfen und die Gründung im Kontext dargestellt werden.

Allein die Tatsache, dass es im letzten Jahr vor der Jahrhundertwende zur Gründung von gleich drei evangelischen Frauenorganisationen kam, weist auf ein offensichtlich bestehendes Bedürfnis hin, das in der sozialen Notlage in der Gesellschaft zu suchen ist. Es wurden dringend mehr Hände gebraucht, um in der Kranken- und Armenpflege, der Betreuung von Kleinkindern zu helfen und vor allem, sich der ledigen Mütter und ihrer Kinder anzunehmen.

Es waren einige Pfarrer der Inneren Mission, die be­reits seit einigen Jahren darauf drängten, die bürgerlichen Frauen zur Mithilfe heranzuziehen. Doch die Pfarrer, wie der Hofprediger Adolf Stoecker, kamen sich vor „wie der Prophet in der Wüste“, wenn er von der Frauenfrage redete, vor allem bei seinen Kollegen. Das hatte sich im Gründungsjahr 1899 etwas verän­dert, doch keineswegs in konservativen Kreisen.

Auf Dauer konnte es jedoch nicht angehen, so Stoecker 1903, fast zwanzig Jahre nach seinen ersten diesbezüglichen Äußerungen, „daß im kommunalen und kirchlichen Leben, das überall feste Ordnungen hat, die Frauenarbeit nur ein Stück Gutmütigkeit und Bereitwilligkeit darstellt, ohne daß sie eingegliedert wird.“ Doch Stoecker selbst plante in dem von ihm zunächst zusammen mit dem jüngeren Theologen und Sozialpolitiker Friedrich Naumann geführten Verband der 'Freien kirchlich-sozialen Konferenz', die 1899 eine Frauengruppe gegründet hatte, keines­wegs eine eigenständig arbeitende Frauenorgani­sation, sondern band diese Frauengruppe ein in die Gesamtarbeit, an deren Spitze nach wie vor männ­liche Vorsitzende standen.

Er war es dann sogar, der den Anschluss dieser Frauen­gruppe an den DEF verhinderte und wesentlich zur Gründung jener weiteren Gruppe beitrug, die auf die Initiative der Kaiserin Auguste Viktoria zurückging. Sie stand in engem Zusammenhang mit der Arbeit des evangelischen kirchlichen Hülfsvereins und war als 'Frauenhülfe' des Vereins konzipiert. Erst im November 1917 wurde die 'Frauenhülfe' ein eigener Verein, dessen Zweck es laut Satzung war, „die Mit­hülfe der Frau in den Dienst der Gesamtkirche und der Einzelgemeinde zu stellen.“ Seine parochiale Anbin­dung blieb wesentlich und die Geschäftsführung lag noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein in Männer­hand, auch in den Gemeinden war meistens der Ge­meindepfarrer der Vorsitzende, allenfalls seine Frau.

Im Gegensatz dazu hatte sich auf dem Frauentag in Juni 1899 in Kassel der Deutsch-evangelische Frauenbund als eigenständiger Verein konstituiert und einen Vorstand gewählt, der nur aus weiblichen Persönlichkeiten bestand. Das war – verständlicher­weise – keineswegs im Sinne der männlichen Initiatoren. So verwundert es nicht, dass in den Zeitungsberichten von heftigen Diskussionen und Protesten der männlichen Vertreter zu lesen ist. Doch Gertrud Knutzen, die sich bereit erklärt hatte, den Vorsitz zu übernehmen, eine Frau, die „große Hoch­achtung und Verehrung“ genoss und eine „stadtbe­kannte, allgemein beliebte Persönlichkeit“ war, schlug diese Diskussion nieder, indem sie erklärte, der DEF habe nicht vor, ein Kindergarten zu werden, in dem die Männer die Kindergärtnerinnen und die Frauen die Kinder seien. Man wolle dankbar den Rat von Männern anhören, aber man wolle selbständig han­deln. „Das wollen wir lernen und deshalb ist der Bund zu allererst für uns Frauen eine Erziehungsanstalt auf evangelischem Grunde zu sozialer Hilfsarbeit.“

Schon die Vortragsthemen beim Frauentag hatten eine doppelte Zielsetzung deutlich gemacht: die Frauenfrage und die soziale Frage. Es ging um Berufs­tätigkeit und Berufsausbildung, wichtige Aspekte, die die bürgerliche Frauenbewegung bereits seit drei Jahrzehnten thematisiert hatte, die nun von evange­lischen Frauen für ihre Arbeit auf eine bewusst christ­liche Grundlage gestellt wurden, wie der § 2 der Satzung 1901 deutlich zeigt: „Der Verein bezweckt, im Sinne des in Gottes Wort geoffenbarten Evangelium an der Lösung der Frauenfrage und an der religiös-sittlichen Erneuerung des Volkslebens mitzuarbeiten.“

Der DEF war der erste und für lange Zeit einzige Frauenverband in der evangelischen Kirche, der sich eine demokratische Struktur gab und sich zur bürger­lichen Frauenbewegung bekannte, die damals bereits mehr als drei Jahrzehnte an der sogenannten Frauen­frage gearbeitet und inzwischen beachtliche Aner­kennung auch in Kreisen erlangt hatte, die sie zu Beginn kategorisch ablehnten. Somit sprang der DEF auf einen bereits mehr oder weniger erfolgreich, jedenfalls kontinuierlich rollenden Zug auf. Verständ­licherweise nicht von allen alten Weggefährtinnen der bürgerlichen Frauenbewegung jubelnd begrüßt, aber mehrheitlich wohlwollend akzeptiert. Bearg­wöhnt und zum Teil mit Häme oder Polemik – zumin­dest mit Zurückhaltung – wurde dieser Schritt inner­halb der evangelischen Kirche und in konservativen Kreisen gesehen, bis hin zur Ablehnung durch das Kaiserhaus. Aber es gab auch freundliche und ermunternde Worte, beispielsweise von dem Ober­präsidenten Graf von Zedlitz-Trützschler, der zum Abschluss des Frauentages sagte: „Ich bin ein Freund der Ziele, nach denen auch diese Versammlung strebt, und ich freue mich, wenn Frauen in diese Bewegung so maßvoll, so objektiv und zugleich so selbständig ein­greifen.“

Einer der Initiatoren, Pfarrer Ludwig Weber, der Vorsitzende der Allgemeinen Konferenz deutscher Sittlichkeitsvereine und ein engagierter Führer der evangelischen Arbeiterbewegung, kannte die Nöte der arbeitenden Bevölkerung im Bergischen Land aus eigener Anschauung. Er appellierte auf dem Frauen­tag nicht zum ersten Mal an die christlichen Frauen, zukünftig nicht mehr „müßig der Frauenbewegung zuzuschauen“, die sich viel früher aufgemacht habe, „ihren in Not geratenen Schwestern zu helfen.“ Es zeigte sich immer deutlicher, dass guter Wille und christ­liche Liebestätigkeit allein - wie sie die kirchliche Armenpflege leistete - die Situation nicht mehr meis­tern konnten. Zudem waren sachliche Kompetenz und eine entsprechende Ausbildung dringend nötig. Daher „dürfe die christliche Frau sich nicht schrecken lassen durch den lauten Kampf um Frauenrechte, sie müsse berechtigte Forderungen zu den ihren machen, sie müsse von jetzt an teilnehmen an der Bewegung, die man die Frauenfrage nenne, um eintreten zu können für ihre unterdrückten, im Kampf ums Dasein ringenden Mitschwestern.“

Die Industrialisierung hatte in den Großstädten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zuvor nie ge­kannte gesellschaftliche Probleme und soziale Not­lagen hervorgerufen, Unruhen und Auseinander­setzungen in von Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot betroffenen Gegenden gebracht und einen damit eng in Zusammenhang stehenden Sittenverfall. Auch der zunehmende Einfluss der Sozialdemokratie auf die Arbeiterklasse beunruhigte die privilegierten Kreise in Kirche, Staat und Gesellschaft mehr und mehr.

Ein Blick auf das Deutsche Reich unter preußischer Führung, dessen Kaiser von der Einheit von Thron und Altar überzeugt war und dessen Gesellschaft zu Zweidrittel protestantisch war und treu zum Kaiserhaus stand, war eine Ordnungsmacht, die am Bestehen­den festzuhalten bemüht war und jede Veränderung als Bedrohung empfand. Seit Mitte der 1890er Jahre gab es aus Kreisen der Politik zunehmend Kritik an dem gesellschaftlichen Engagement der Pfarrer. Man war der Meinung, diese sollten sich auf die Seelsorge konzentrieren. Gleichzeitig kam es zum Erstarken der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, die im konser­vativen Lager und beim Kaiser zu einer Gegenreak­tion bei den begonnenen Sozialreformen führte. Die protestantische Kirche, die in ihrer Gebundenheit an die von Gottes Gnaden eingesetzten Obrigkeit stand, folgte dieser Richtung, die wie der Kaiser meinte: „Politische Pastoren sind ein Unfug. ... christlich-sozial ist Unsinn.“

Mehrheitlich standen die kirchlichen Repräsentanten in großer Abhängigkeit und Gebundenheit zur welt­lichen Obrigkeit, als deren verlängerten Arm sich die Pfarrer verstanden. Eine Frauenorganisation, die sich sowohl der Kirche verbunden fühlte als auch der Frauenbewegung zugewandt hatte, geriet naturge­mäß in eine äußerst schwierige Situation, die die Um­setzung der auf der Gründungsveranstaltung spontan und hoffnungsvoll geplanten Aktivitäten zunächst ins Stocken brachte, aber nicht aufgab, sondern mutig und engagiert neue Wege beschritt. Dies in wechsel­vollen Zeiten bis heute.

Halgard Kuhn

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Bundesvorstand aus der Gründungszeit
Bundesvorstand aus dem Jahr 1899 oder 1901, Quelle: AddF, Kassel, Sign: D-F1/00047
Gertrud Knutzen
Gertrud Knutzen, Quelle: AddF, Kassel, Sign:D-F1/00046