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SPRUCH des Monats November

|   Besinnung

Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele? Mt 16,26 (L)

Wenn ich diesen Vers höre, fällt mir unweigerlich mein Lateinlehrer ein. Er stand in diesem Moment leicht grinsend am Fenster, blickte in die Runde seiner Schülerinnen und meinte: „Stellt euch diesen Bibelspruch einmal ohne die Konjunktivformen vor: Was würde es dem Menschen helfen, wenn er die ganze Welt gewinnen würde und würde doch Scha­den an seiner Seele nehmen? Spürt ihr die Verarmung, den sprachlichen Abstieg?“ Für ihn war die Lutherübersetzung sprachlich vollendet und ein klanglicher Genuss. Über die Bedeutung der Worte ließ er sich nicht näher aus.

Ich erinnere mich nicht, ob wir ihm Verständnis und Sympathie für sein Sprachempfinden entgegenbrachten, eher war es wohl Erstaunen und Rat­losigkeit. Aber vergessen habe ich diese Situation und damit auch den Bibelvers nie.

Immer wieder einmal überlegte ich im Lauf meines Lebens, wie das sein könnte: die Welt gewinnen. Sind hier Reichtum und materieller Besitz gemeint? Ein guter Verdienst, ein gemütliches Haus, spannende Urlaubs­reisen, die neueste Technik für sich und die Familie?

Vielleicht kann „die Welt gewinnen“ aber auch Ruhm bedeuten? Vielleicht Macht? Anerkennung? Endlich einmal Gerechtigkeit in der Bewertung meiner Leistungen, meiner Anstrengungen, auch meiner ehrenamtlichen Bemühungen?

Irgendwie komme ich nicht weiter mit dem, was das bedeutet: die Welt gewinnen. Ich glaube, es ist so etwas gemeint wie die Erfüllung aller Wünsche. Ab und zu reden wir ja so über unsere Zukunft: Wenn ich im Ruhestand bin, dann will ich… Wenn ich erst wieder gesund bin, dann wollen wir… Wenn der Umbau fertig ist, dann…

Und dann? Wilhelm Busch hat einmal gesagt: „…ein jeder Wunsch, wenn er erfüllt, kriegt augenblicklich Junge.“ Da ist schon was dran. In manchen Lebenslagen nagt immer ein neuer Wunsch in uns, kratzt an der Dank­barkeit, macht uns unzufrieden, lässt uns nicht ruhig und gelassen genießen.

Nein, ich brauche nicht die Welt und schon gar nicht die ganze zu gewinnen. Es erscheint mir wunderbar und köstlich, dass ich meinen Rentneralltag so unbeschwert erleben darf, dass ich trotz Dürre in unserem Land eine Fülle von Lebensmitteln kaufen kann, dass ich Konzerte besuchen, Gäste bewirten und Reisen machen darf. Ja, sehr viel von der ganzen Welt nütze ich. Es gibt eine Menge, wofür ich dankbar, womit ich zufrieden sein kann.

Und wenn ich nun auf den zweiten Teil des Bibelverses sehe, dann ahne ich, was das bedeuten könnte: …und nähme doch Schaden an seiner Seele.

Die Konzentration auf das „Gewinnen“ der Welt verschlingt Kraft, viel Zeit, auch Geld. Da bleibt Manches auf der Strecke. Die Seele eben.

„Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, bedaure ich, dass ich nicht oft genug gefeiert habe. Immer stand etwas dagegen – zu wenig Zeit, zu wenig Geld, zu wenig Platz. Aber man sollte nichts verschieben.“ Das hörte eine Sterbebegleiterin immer wieder von ihren Anvertrauten. Da war etwas zu kurz gekommen, das entspannte Zusammensein, lockere Gespräche, intime Momente, Vertrautheit, Lebenslust. Und jetzt konnte man das nicht mehr nachholen, weil der Körper streikte.

Achten wir auf uns, damit unsere Seele keinen Schaden nimmt. Gehen wir zart mit ihr um, geben wir ihr Nahrung. Jeder von uns wird selbst wissen, was die eigene Seele braucht. Doch! Ganz tief drin wissen wir es. Das kann ein Gespräch sein, ein Gottesdienst, Musik, ein Spaziergang, eine gute Tat oder ein leckeres Essen, das man sich miteinander gönnt. Oder eben etwas, das nur Sie wissen! Vielleicht schreiben Sie mal eine Liste: Nahrung für meine Seele. Und Sie werden erstaunt sein, wie viel Ihnen da einfällt!

Gott behüte und begleite uns, dass wir keinen Schaden an unserer Seele nehmen. Amen.

Christine Seichter,
Altdorf

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Blick vom Berg über das Tal in die Ferne