Skip to main content

SPRUCH des Monats Dezember

|   Besinnung

Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. Auf ihm wird ruhen der Geist des HERRN, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des HERRN.

Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Bö-cken lagern. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben. Kühe und Bären werden zusammen weiden, dass ihre Jungen beieinander liegen, und Löwen werden Stroh fressen wie die Rinder. Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein entwöhntes Kind wird seine Hand strecken in die Höhle der Natter.

(Jes.11,1+2,6-8)

 

Der Prophet Jesaja malt seinem zerschlagenen Volk ein Bild vom Paradies vor Augen. Es wird ein neuer König kommen. Der wird Recht und Gerechtigkeit wiederherstellen im Land, und auf sein Wort wird Verlass sein. Dann dieses Bild vom Friedensreich, wo Wolf und Schaf, Panther und Bock, Bär und Kalb friedlich miteinander grasen, und der Löwe Stroh frisst wie das Rind.

Ich habe diesen Text geliebt und ihn in den Advents- und Weihnachtsgottesdiensten gern gelesen, wenn er dran war. Ein Freund hat mir dazu seine Illustration geschenkt, die zu sehen ist. Ist aber das Bild des Jesaja nicht zu schön, um wahr zu sein? Gerade stand in der Zeitung, dass wieder ein Wolf ein Schaf gerissen hat. Die Schäfer und Landwirte hierzulande sind nicht begeistert, dass der Wolf zurückgekehrt ist in unsere Wälder. Sie fürchten um ihre Schafe. Und ein Kind, das mit der Schlange spielt? Es gibt so viel Gift um uns herum, das unseren Kindern gefährlich werden und sie töten kann.
Und doch! Das Kind, das die Schlange streichelt auf dem Bild meines Freundes, berührt mich. Erleben wir das nicht genau so? Jedes Kind, das in unsere Welt geboren wird, bringt etwas mit, das uns Erwachsenen längst abhandengekommen ist: eine paradiesische Unbefangenheit, seine Furchtlosigkeit. Es kennt ja das Böse noch nicht, das neben dem Guten leider auch in jedem Tier und jedem Menschen steckt. Es läuft auf jeden Hund zu, um ihn zu streicheln und lacht jeden Menschen an, der ihm sein freundliches Gesicht zeigt.

Ein neuer Spross aus der alten Wurzel Isais soll die Wende zum Guten bringen, zum Frieden „auf dem ganzen heiligen Berg, und niemand wird mehr Sünde tun“, so lesen wir bei Jesaja.
In dem Kind, dessen Geburt wir an Weihnachten feiern, hat die Christenheit diesen neuen Zweig gesehen, der aus dem alten Stamm herauswächst. Es hat diese Welt zwar nicht in ein Paradies verwandelt, aber es hat als erwachsener Mensch seine Furchtlosigkeit nicht verloren. Jesus hat sich nicht schrecken und einschüchtern lassen von den Mächtigen der Welt und von großen Namen. Seine Stärke war die Unbefangenheit der Liebe, mit der er anderen Menschen begegnete als Gesandter der Liebe Gottes. Das Wort war seine Waffe gegen das Böse, die er geschliffen hat an der Wahrheit Gottes. Und die Schlange, die konnte ihm nichts anhaben. Der hat er den Giftzahn gezogen, indem er den Menschen ihre Sünde vergab.

Nein, er hat unsere Welt nicht in das von Jesaja beschriebene Paradies verwandelt. Am Ende war er das Lamm, das die Wölfe gerissen haben.

Aber er hat uns das Mensch-Sein in dieser Welt als Kind Gottes vorgelebt, der Jesus von Nazareth, in Bethlehem geboren von Maria, einer jungen Frau, die bereit war, dieses Gottesgeschenk zur Welt zu bringen. Wir werden sicher nicht erleben, dass der Löwe Stroh frisst wie das Rind und Wolf und Lamm friedlich miteinander weiden. Aber wir können erleben, dass Menschen das Böse in sich besiegen und der Güte Gottes in ihrem Herzen und ihrem Denken Raum geben, dass sie mit Liebe den Hass überwinden, Feindschaft beenden und sich mit ihren Feinden versöhnen, auf Schuld nicht beharren, sondern Schuld vergeben und sich nicht hinter Lügen verschanzen, sondern zur Wahrheit stehen.

Damit ist der „Friede auf Erden“, der uns als himmlische Botschaft an Weihnachten verkündet wird, noch lang nicht erreicht. Wir leben nach wie vor in einer von Streit und Kampf und Krieg zerrissenen Welt. Aber mit dem Kind in der Krippe sind wir auf dem Weg zum Frieden. Und den spüren wir, wenn wir seine Geburt feiern. Alle Jahre wieder. Und alle Jahre wieder werden wir an der Krippe wieder zu Kindern, so alt und ernüchtert wir geworden sein mögen im Laufe der Zeit. Für Augenblicke ist der Friede da, der unsere Vorstellungskraft sprengt und übersteigt, der uns verbindet über alles Trennende hinweg, und wir sind Kinder Gottes wie dieses Kind in der Krippe im Stall.

Ulrike Börsch
Mitglied im Bundesvorstand

Zurück
Tierfrieden
© Ulrike Börsch